Datum: 7. November 2012 |
Rede von Rainer Juchheim im Stadtrat vom 7.11.2012
Rainer JuchheimUnser Antrag richtet sich nicht gegen die katholische Kirche. Im Gegenteil, wir wollen ihr helfen. Helfen dabei, in der Jetztzeit anzukommen
Der ständige Rat der deutschen Bischofskonferenz stellte am 24.6.2002 fest:
“Das neu geschaffene Rechtsinstitut der Lebenspartnerschaft….. widerspricht der Auffassung von Ehe und Familie,wie sie die katholische Kirche lehrt. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,…. verstoßen dadurch gegen die für sie geltenden Loyalitätsobliegenheiten,wie sie ihnen nach Art.4 der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse….auferlegt sind.”
Wir denken,diese Auffassung passt nicht mehr in die heutige Zeit und sehen uns darin einig mit vielen gläubigen Katholiken.
Der Verwaltung schlägt vor,ein Gutachten in Auftrag zu geben,das klärt,ob die Stadt Neu-Ulm für einzelne kirchliche Einrichtungen Arbeitsverträge vorschreiben kann….Dies würde eine unnötige Geldausgabe bedeuten.
Warum?
Die Stadt Neu-Ulm kann kirchlichen Einrichtungen nicht Arbeitsverträge vorschreiben.
Das haben wir im übrigen auch gar nicht gefordert.
Wie ist die rechtliche Lage?
Art 140 Grundgesetz sagt:
“Die Bestimmungen der Art136,137,138,139 und 140 der deutschen Verfassung vom 11.8.1919? sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.
Art 137 der Weimarer Verfassung sagt:
“Jede Religionsgemeinschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb des für alle geltenden Gesetzes….”
§8 Allgemeines Gleichstellungsgesetz:
” Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in §1 genannten Grundes (u.a. sexuelle Identität)ist zulässig,wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeiten….. eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt..”
§9,2: “Das Verbot unterschiedlicher Behandlung wegen der Religion…berührt nicht das Recht der Religionsgemeinschaften,….von ihren Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen zu können.”
Hierauf beruft sich die katholische Kirche. Die Gegner dieser Auffassung sagen dagegen,
1.Heterosexualität ist keine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung für eine Beschäftigung in kirchlichen Einrichtungen.
2.Die Forderung eines loyalen und aufrichtigen Verhaltens bezieht sich nur auf das Verbot unterschiedlicher Behandlung wegen der Religion…
3.Der Europäische Gerichtshof für Menschenrecht sagt in seinem Urteil vom 23.9.2010:
Ob die Kündigung von Lesben und Schwulen wegen der Eingehung einer Lebensgemeinschaft zulässig ist,hängt von der Abwägung folgender Gesichtspunkte ab:
– dass die Forderung der katholischen Kirche an Lesben und Schwule nach völliger lebenslänglicher Abstinenz der Kern des Rechts auf Achtung ihres Privatlebens berührt
– ob die Mitarbeiter nach wie vor zu den Grundsätzen der katholischen Glaubens- und Sittenlehre stehen und an ihre Anforderungen nur aus einem dem innersten Bezirk ihres Privatlebens zuzurechnendem Umstand “scheiterten”.
– ob die Einrichtungen auch Mitarbeiter entlassen,die in wilder Ehe leben oder nach der Scheidung ihrer kirchenrechtlich unauflöslichen Ehe wieder geheiratet haben
– ob die gekündigten Mitarbeiter ohne weiteres einen gleichwertigen Arbeitsplatz finden können.
Dem hat sich das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 8.9.2011 angeschlossen:
“Auch bei Kündigungen wegen Enttäuschung der berechtigten Loyalitätserwartungen kann die stets erforderliche Interessenabwägung … zu dem Ergebnis führen,dass dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar …ist.Abzuwägen sind das Selbstverständnis der Kirchen einerseits und das Recht des Arbeitnehmers auf Achtung seines Privatlebens..andererseits.
Die Rechtslage ist also strittig, auch wenn sich die Rechtsprechung zugunsten der Lesben und Schwulen zu neigen scheint.
Da sie strittig ist,können wir der Kirche keine Arbeitsverträge vorschreiben.
Die Kirche steht fest zu ihren (vermeintlichen?) Rechten und es gibt zumindest zur Zeit keine Möglichkeit,dies zu ändern.
Was ist jetzt unsere Forderung?
Wir wollen nicht,dass Menschen diskriminiert werden.
Wir wollen,dass alle Beschäftigten gleichbehandelt werden.
Wir wollen, dass auch die katholische Kirche nicht diskriminiert.
Wie können wir das erreichen?
Vorschreiben können wir es der katholischen Kirche nicht, weil sie sich auf Grundgesetz und Allgemeines Gleichstellungsgesetz beruft.
Aber wir können beschließen, dass freiwillige Zahlungen der Stadt nur dann erfolgen,wenn in einem Arbeitsverhältnis nicht diskriminiert wird.
Anders herum heißt das nämlich,dass wir mit unseren freiwilligen Zahlungen Diskriminierung unterstützen.Die katholische Kirche diskriminiert bestimmte Menschen und wir bezahlen sie dafür!!! DieStadt und der Freistaat bezahlen zu 100 % die Kinderbetreuungseinrichtungen. Die gesetzlich vorgeschriebenen Zahlungen können wir nicht kürzen, wohl aber die darüber hinaus geleisteten freiwilligen Zahlungen.
Das widerspricht eklatant dem Selbstverständnis der Stadt und auch im Prinzip den beschlossenen Aalborg Commitments und Managing Urban Europe.
Unser Antrag lautet daher:
Die Stadt Neu-Ulm macht die Vergabe von freiwilligen Leistungen davon abhängig,dass Arbeiter und Angestellte nicht wegen einer erneuten Heirat nach einer Scheidung,wegen Zusammenlebens in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft oder wegen Eingehung einer Lebenspartnerschaft gekündigt werden.
Wird dies nicht zugesagt oder nicht eingehalten, werden die freiwillen städtischen Zuschüsse gekürzt und zwar:
– zunächst zahlt die Stadt nur noch 50% Defizitausgleich oder entsprechend
– im 2.Jahr wird der Defizitausgleich vollständig gestrichen oder entsprechend die Zahlungen gekürzt
– im 3.Jahr berät der Stadtrat darüber,ob. z.B. Trägern von Kinderbetreuungseinrichtungen die Trägerschaft entzogen werden kann
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