Reinhard Bütikofer, Vorsitzender der europäischen Grünen und Mitglied des Europäischen Parlaments sprach auf Einladung des Bundesverbands der mittelständischen Wirtschaft sowie der Kreisverbände Ulm und Neu-Ulm auf zwei Veranstaltungen. Erster Termin war ein Gespräch mit Mitgliedern des BVMW am 1. März 2019 im Bantleon Forum Ulm.
Karl-Heinz Raguse, Leiter des BVMW-Kreisverbands Neu-Ulm und Jürgen Filius als Vertreter der Landtagsfraktion der Grünen und Abgeordneter des Wahlkreises Ulm begrüßten den Gast. Der stieg sofort ein mit zwei Statements, die er für grundlegend hält, nämlich erstens dem Bekenntnis zu einer europäischen Wirtschaftspolitik. Sie sei unabdingbar, weil jedes Land für sich nicht groß genug sei, um alleine auf Dauer mit China und Amerika mithalten zu können. Und zweitens zeigte er sich überzeugt, dass es keinen Gegensatz gebe zwischen ökologischer Orientierung und wirtschaftlichem Erfolg. „Es wird auf Dauer eine Wettbewerbsfähigkeit und einen wirtschaftlichen Erfolg nur auf der Basis von Nachhaltigkeit geben.“
Industriepolitik
Bütikofer kommentierte die Forderung von Bundeskanzlerin Merkel nach einer Neuausrichtung der Industriepolitik. „Wir brauchen eine europäische Industriepolitik, denn die Chinesen machen Industriepolitik, die Japaner machen eine, die Südkoreaner machen eine, auch die Amerikaner …“ Die großen technolgischen Veränderungen, die bevorstehen, z. B. Künstliche Intelligenz, seien nur zu stemmen, wenn sie europäisch angegangen werden. Die chinesische Regierung würde in die Entwicklung der neuen Technologien wesentlich höhere Beträge stecken als das die Europäer bisher tun. Europa müsse hier seine Kräfte bündeln und sich gleichzeitig auf eine Linie der künftigen Industriepolitik verständigen. Diese Linie sollte nach Bütikofers Ansicht in der Förderung von Innovationen bestehen.
Außenhandel
Der Druck auf Europa habe sich in jüngster Zeit massiv verstärkt, so Bütikofer, weil der Export von europäischem Stahl und Aluminium ebenso wie der von deutschen Autos durch die USA und China behindert würde.
Nur durch das gemeinsame Handeln als Europäer könne Europa überhaupt dem Handeln Amerikas etwas entgegensetzen.
„Trump meint sein America first sehr ernst. Wir können nur eine Chance haben, nicht zerquetscht zu werden, wenn wir gemeinsam auftreten.“ In so einer Situation der Hilfslosigkeit steckten die allermeisten europäischen Länder.
Auch der Einstieg von Unternehmen in europäische Firmen sei differenziert zu sehen. Hier nannte er explizit die Beteiligung chinesischer Staatsunternehmen an Energieversorgern in Slowenien und Griechenland. Ebenso kritisch sah er den Aufbau des schnellen Mobilfunks durch das chinesische Unternehmen Huawei, weil damit zentrale Versorgungsnetze in fremder Hand seien. „Sind das Risiken, die wir noch tragen können?“ fragte er.
Um das Abfließen von Technologien infolge von Aufkäufen zu verhindern, hält der Europaabgeordnete entsprechende Regelungen für erforderlich. Das Aufkaufen von Firmen durch den Staat, um die Übernahme durch außereuropäische Unternehmen zu verhindern, wie es in Frankreich versucht worden sei, findet er allerdings keine praktikable Lösung.
Er sei zudem überzeugt, dass Europa in dieser Situation selbst enorm viel tun müsse um eigene Innovationen voranzutreiben. Er schließe sich der Forderung des Bundesverbands der deutschen Industrie an, der eine Verdoppelung des Forschungsetats in der EU verlangt.
Brexit
Dem Austritt Großbritanniens aus der EU konnte Bütikofer nichts Gutes abgewinnen. Der Zickzack-Kurs verursache erhebliche wirtschaftliche Verwerfungen. Auch in der übrigen EU werde der Austritt „blaue Flecke verursachen“.
Klimapolitik
Der Klimawandel habe bereits heute dramtische Konsequenzen. Das sei eine fundamentale Bedrohung, deren Dimension wir uns im Alltag wahrscheinlich nicht oft genug klar machten. Auf der anderen Seite gebe es so viele praktische Lösungen, wie man Umkehr anpacken und vorantreiben könne. „Da ist viel mehr Zusammenarbeit zwischen der Wirtschaft und Politik nötig.“ Und er sehe darin auch eine Chance für die Wettbewerbsfähigkeit, wenn die Europäer als Vorreiter solche praktischen Lösungen schneller umsetzen als andere.
Europäische Rüstungspolitik
Die gemeinsame Rüstungspolitik empfindet Bütikofer noch als große Baustelle. „Wir müssen für unsere gemeinsame Sicherheit mehr tun. Die europäische Rüstungsindustrie ist zersplittert und ineffizient. In der EU haben wir eine extreme Nationalisierung der Rüstungsindustrie. Es gibt damit viel zu viele Waffensysteme, die nicht zusammenpassen.“ Durch gemeinsames Beschaffen entstünden nicht nur größere Aufträge, sondern auch ein Wettbewerb zwischen den Anbietern, wodurch sich bis zu 100 Milliarden pro Jahr einsparen ließen. Leider seien die bisherigen Ansätze der europäischen Kommission in der Frage ungeeignet.
Erziehung und Bildung
Auf den Einwand einer Zuhörerin, dass es kaum gelinge Jugendliche, gerade Migrantenkinder, zu europäisch denkenden Mitbürgern zu erziehen, führte Bütikofer die Maßnahmen an, die in der EU für das Kennenlernen und Verstehen Jugendlicher aus anderen europäischen Ländern angeboten werden, wie etwa das Erasmus-Programm. Er machte aber auch klar, dass diese Integration nicht nur eine Aufgabe des Staates sondern aller Bürger sei, die Erwachsenen sich nicht auf eine Konsumentenhaltung zurückziehen dürften.
Zusammenfassend sei er besonders vor der kommenden Europawahl im Mai zuversichtlich. Entscheidend findet er, dass die Wahlbeteiligung groß werde. Er habe den Eindruck, die Zustimmung zur EU sei in letzter Zeit besser geworden. Es hält es aber für nötig sich den Schwierigkeiten zu stellen und Europa weiter zu entwickeln. „Wir als Grüne wollen das Versprechen Europas erneuern.“
B. Wiesner
Zur zweiten Veranstaltung mit Reinhard Bütikofer siehe Beitrag der Südwestpresse
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