Schicksal Tanja Junginger ,36, verlor ihren Job in einem katholischen Kindergarten in Neu-Ulm. Nach großem Medienecho wollen die Stadtrats-Grünen das Thema nun öffentlich diskutieren
Von Jens Carsten NUZ 7.8.2012

Ulm/Neu-Ulm Die Geschichte der lesbischen Erzieherin Tanja Junginger hat für großes Aufsehen gesorgt: Die 36-jährige Ulmerin war in einem katholischen Kindergarten in Neu-Ulm angestellt, Ende August ließ ihr Arbeitgeber den befristeten Vertrag auslaufen. Junginger glaubt zu wissen, warum: Im Juni hatte sie sich ihren Vorgesetzten gegenüber als homosexuell offenbart. Daraufhin redete ihr ein Geistlicher ins Gewissen – ein Gespräch, das die Frau als diskriminierend empfand. Gegenüber unserer Zeitung hatte die Erzieherin ihre Erlebnisse zuerst geschildert: Der Bericht wirkte wie ein Paukenschlag und löste ein großes Medienecho aus Tanja Jungingers Fall sorgte für Schlagzeilen, Radiostationen sendeten Interviews, Fernsehteams drehten Beiträge vor Ort. “Das Interesse war groß”, freut sich die 36- Jährige. Sie habe zahlreiche Rückmeldungen von Menschen aus ganz Deutschland erhalten. “Viele haben mich zu meiner Offenheit beglückwünscht und mir Mut zugesprochen. ” Doch damit allein will sich die 36- Jährige nicht zufrieden geben – und weiter für die Rechte von Schwulen und Lesben kämpfen, “Ich habe mir diesen Weg ausgesucht, ich kann gar nicht mehr zurück.”
Stadträte fragen: Wie sollte sich die Stadt Neu-Ulm verhalten? Ihre Geschichte erregt weiterhin Aufmerksamkeit: Jetzt hat das Schicksal der Erzieherin die Lokalpolitik erreicht. Die Grünen im Neu-Ulmer Stadtrat veranstalten am Montag, 10. September, im Cafe d’ Art (20 Uhr) eine Diskussionsrunde de (siehe Kasten). Sie fragen: Darf die katholische Kirche so handeln? Und: Was soll die Stadt Neu-Ulm tun, die die Kindergärten finanziert?
Ihr mutiger Schritt ins Rampenlicht blieb für Tanja Junginger nicht ohne Folgen: Am Dienstag, 26. Juni, berichtete unsere Zeitung exklusiv – noch am selben Tag erhielt die Erzieherin im Kindergarten Besuch vom zuständigen Kirchenmann. Junginger erinnert sich: “Ich wurde sofort in den Personalraum zitiert.” Der Pfarrer sei “sauer und wütend” gewesen. Wohl auch darüber, dass Teile der ersten Unterredung nun öffentlich geworden waren. Seine erste Frage habe gelautet: Haben Sie ein Diktiergerät dabei? Der Geistliche habe Jungingers Verhalten als “unverschämt” bezeichnet, immerhin sei ihr Vertrag von vorneherein befristet gewesen.
Darauf verweist auch das Bistum Augsburg: “Der Vertrag ist wie vereinbart ausgelaufen”, sagte Pressesprecher Markus Kremser gestern auf Anfrage. Es handele sich um einen ganz normalen Vorgang.
Diese Reaktion hält die Erzieherin für scheinheilig; Ihrer Ansicht nach habe sie vor ihrem Outing gute Chancen gehabt, in dem Kindergarten auch über den August hinaus beschäftigt zu werden. “Ich habe meine Arbeit gut gemacht.” Zudem habe die Einrichtung Personal gesucht. Doch in ihrem Arbeitsvertrag war Junginger über eine Klausel gestolpert, wonach “ihr außerdienstliches Verhalten nicht im Widerspruch zu den Bestimmungen der Grundordnung des kirchlichen Dienstes stehen dürfe. Deshalb vertraute sie sich ihren Vorgesetzten an offensichtlich ein Fehler: “Hätte ich doch den Mund gehalten”, sagt Junginger, die sich um Kinder mit besonderem Betreuungsbedarf gekümmert hatte. In dem Kindergarten habe nach den Zeitungsberichten ein unterkühltes Arbeitsklima geherrscht. Im Juli sei die Situation dann eskaliert, als eine Frau aus dem Umkreis des Kindergartens Junginger offen der Lüge bezichtigt habe. “Da bin ich heulend aus dem Raum gelaufen.”
Angestellte war zu krank für ihre Arbeit
Fortan war die Erzieherin zu krank für ihre Arbeit. Nur einmal kehrte sie noch in die Einrichtung zurück um den angehenden Schulkindern bei deren Abschiedsfest Lebewohl zu sagen. Ende August lief ihr Vertrag dann aus, derzeit sucht Junginger einen neuen Job. Sie würde auch wieder in einem katholischen Kindergarten arbeiten: “Aber ich stehe jetzt wohl auf der roten Liste.”
Die Grünen im Neu-Ulmer Stadtrat ergreifen Partei für die 36-Jährige: “Ich finde das Verhalten der Kirche nicht zeitgemäß”, sagt Fraktionschef Rainer Juchheim. Deshalb werden am Montag im Cafe d’ Art Manfred Bruns, ehemaliger Bundesanwalt am Bundesgerichtshof, Brigitte Aichele-Frölich, Vorsitzende des Lesben- und Schwulenverband Baden-Württemberg und Holger Greif, Kreisvorsitzender der Grünen, über die Geschehnisse diskutieren. Auch Gesprächspartner der Kirche waren angefragt. Das Bistum wird allerdings niemand entsenden, sagte Pressesprecher Kremser gestern: “Aus unserer Sicht ist der Fall nicht strittig. ”
Geht es nach juchheim, dann soll Jungingers Geschichte bald im Stadtrat besprochen werden. Er will sich am Dienstag, 18. September, im Ausschuss für Bürgerdienste, Familie Und Kultur zu Wort melden. In der Sitzung geht es um die Finanzierung der Neu-Ulmer Kindergärten.
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